Video Assistant Referee – Fluch oder Segen für den Fußball?
Quelle: DFB: Video-Assistent-Kurzanleitung: https://www.dfb.de/fileadmin/_dfbdam/145014-Video-Assistent-Kurz-Anleitung_DE.PDF
Der Video Assistant Referee (VAR), auch gerne als Videobeweis bezeichnet, kommt in der ersten Bundesliga seit der Saison 2017/18 zum Einsatz doch so richtig angefreundet hat man sich mit dem Ganzen noch nicht wirklich. Die Idee des Video-Assistenten ist simpel und schnell erklärt: Er soll das Spiel gerechter machen und spielentscheidende Fehlentscheidungen minimieren.
Eingreifen darf er bei Regelwidrigkeiten bei oder im Vorfeld der Torerzielung, bei Strafstoßentscheidungen, roten Karten oder Verwechslungen eines Spielers. Es muss dabei die Voraussetzung erfüllt sein, dass „eine klare und offensichtliche Fehlentscheidung des Schiedsrichters auf dem Platz vorliegt.“[1] Er ist demnach nicht dafür da, eine bessere Entscheidung zu treffen. Der DFB warnt darüber hinaus davor, dass es weiterhin Szenen geben wird, die nicht eindeutig auflösbar sind.[2] Auch wenn der VAR bei einer Entscheidung des Hauptschiedsrichters auf dem Feld eingreift oder dieser Unterstützung aus Köln (zentrale Verwaltungsstelle des VAR) anfordert, hat der Spielleiter vor Ort die finale Entscheidung zu treffen. Es besteht sowohl die Möglichkeit, dass die Empfehlung für eine Entscheidung direkt aus Köln kommt, als auch die Option, dass sich der Schiedsrichter auf dem Spielfeld die strittige Szene nochmal auf einem Video-Monitor am Spielfeldrand anschaut.[3] So viel erstmal zur Theorie, welche in der praktischen Umsetzung Spielraum für hitzige Debatten lässt.
Schwer zu definieren, bleibt die Frage auf die Antwort, wann eine Fehlentscheidung offensichtlich falsch ist und wann der VAR tatsächlich eingreifen soll. Es gibt immer wieder Szenen die strittig bleiben, bei denen sowohl beim Schiedsrichter auf dem Platz als auch im „Kölner Keller“ keine einheitliche Linie gefahren werden kann, da es Argumente für die eine Seite, aber auch für die andere gibt. An dieser Stelle kann man bereits festhalten: ob sich die Diskussionen in der Stammkneipe um das Melden oder Ausbleiben des VAR dreht oder ob man im Nachgang eines Spiels festgestellt hat, dass wohl doch eine vermeintliche Abseitsstellung vorlag, ist eigentlich egal. Zu philosophischen Grundsatzdebatten führen 90 Minuten deines Vereins auf beiden Wegen.
Gucken wir uns das Eingreifen des VAR in der Hinrunde der Saison 2020/21 an. Laut DFB-Statistik gab es in 153 Spielen, 844 geprüfte Szenen, bei denen 583 ohne Kommunikation zwischen dem Schiedsrichter abgenickt werden konnten. 200 Szenen benötigten eine Kommunikation, 61 Szenen eine Intervention und 57 Eingriffe hatten die korrekte Entscheidung als Konsequenz. Somit bleiben zwei falsche Entscheidungen und zwei fälschliche Eingriffe des Videobeweises.[4] So viel zu den nackten Zahlen, über die man sich, wenn man ehrlich zu sich selbst ist, nicht beschweren kann. Doch woher kommt die Wut vieler Fans? Die Antwort lässt sich vor allem auf zwei Faktoren zurückführen. Ein entscheidender Aspekt ist die Zeit. Es dauert oftmals sehr lange, bis knifflige Entscheidungen gefällt werden, bis eine kalibrierte Linie gezogen wurde oder bis wirklich jedes Detail, in den fünf Minuten vor einer Torentstehung, unter die Lupe genommen wurde. Schaut man hier nochmal auf die Zahlen aus der Saison 2020/21, beträgt der Zeitaufwand für einen Reviewprozess durchschnittlich 79 Sekunden, bei einem angepeilten Ziel von unter 60 Sekunden.[5] Diese 79 Sekunden sind eine Zeitspanne, die sich bei einem besonders emotionalen Spiel oder einem entscheidenden Tor in letzter Sekunde, besonders lange anfühlen und die Abneigung zum DFB tendenziell noch mehr verstärken.
Quelle: Ligaportal: Bundesliga verkündet neuen Startpunkt des VAR in Österreich! https://www.ligaportal.at/bundesliga/allgemein-news/7098-bundesliga-verkuendet-neuen-startzeitpunkt-des-var-in-oesterreich.
Der zweite wesentliche Aspekt, der mit dem Zeitfaktor Hand in Hand geht, sind die verlorengehenden Emotionen. Sport, vor allem Fußball lebt von Emotionen, der Leidenschaft, der unmittelbaren Freude oder Enttäuschung nach einem Tor und dem Enthusiasmus der Fans. Diese Komponenten werden durch den Videobeweis merklich eingeschränkt. Nach Toren fällt ein Jubel oftmals verhaltender aus, da die Ungewissheit besteht, ob der VAR nicht doch noch eingreift. Ganze Freudenstürme von den Tribünen werden im Keim erstickt, da der Schiedsrichter mit seinen Fingern das Zeichen eines Monitors in die Luft malt, um sich die Torentstehung in Ruhe in der Review-Area zu Gemüte zu führen. Der Linienrichter lässt überdeutliche Abseitsentscheidungen durchlaufen, da es ohnehin eine Überprüfung durch den Videobeweis geben wird. Der Frust beim Zuschauer über Sky, DAZN, Amazon Prime oder TVNOW wird nochmal mehr gesteigert, weil das Eingreifen des VAR ausbleibt, da der Strafstoß schon gegeben werden könnte, aber es sich um keine eindeutige Fehlentscheidung des Schiedsrichters handelt. Beispielhaft zu nennen ist hierbei der Saisonauftakt 2021/22 als Bayerns Upamecano zwei vermeintliche Foulspiele an Gladbachs Thuram begeht, der Elfmeterpfiff aber trotzdem ausbleibt.[6]
Quelle: 11Freunde: Die Dynamik eines Sommers: https://11freunde.de/artikel/die-dynamik-eines-sommers/527370.
Letztendlich kann man festhalten, dass der Videobeweis sein Ziel in großen Teilen erreicht. Er macht den Fußball gerechter. Allerdings ist der Preis, welcher hierfür gezahlt wird, verhältnismäßig hoch. Viele Emotionen bleiben auf der Strecke und ‚The Beautiful Game‘ geht in Teilen verloren. Bei dieser berechtigten Kritik darf nicht vergessen werden, dass der Fußball ein milliardenschweres Geschäft geworden ist, bei dem es um viel Geld und nicht ‚nur‘ um die Fans geht – so traurig dies auch sein mag. An Schiedsrichterentscheidungen, den damit verbundenen Spielergebnissen und dem Abschneiden in der Tabelle hängen Sponsoren und Investoren, auf die die Vereine nicht verzichten können. Der Einsatz der Videotechnik kann in gewissem Maße das Spiel sicherlich verbessern, der ganze Prozess scheint aber für den etwas konservativeren Fußballliebhaber noch nicht endgültig ausgreift zu sein.
Die Geisterspiele während der Corona-Pandemie haben gezeigt, dass Fußball auch ohne Fans möglich ist, aber die Atmosphäre eine ganz andere ist und ein entscheidender Faktor fehlt. Die unersetzliche Rolle und der Einfluss der Fans darf im gesamten Modernisierungsprozess der Fußballwelt nicht vergessen werden. Die Meinungen und Forderungen aus der Fanszene sollten daher in den Überlegungen des DFBs eine Gewichtigkeit haben, da die Harmonie aus Mannschaft und Fans, egal bei welchem Verein, auf kurz oder lang verschwinden könnte. Am Ende des Tages bleibt es dabei, dass der Fußball in weiten Teilen von den Fans lebt und so schließen wir auch mit einem unserer Leitgedanken: no fans – no football.
Literaturverzeichnis:
Deutscher Fußball-Bund: Video-Assistent-FAQ: https://www.dfb.de/sportl-strukturen/schiedsrichter/video-assistent/, letzter Zugriff am 27.09.2021.
DFB: Video-Assistent-Kurzanleitung: https://www.dfb.de/fileadmin/_dfbdam/145014-Video-Assistent-Kurz-Anleitung_DE.PDF, letzter Zugriff am 27.09.2021.
Kicker: VAR: Fröhlich und Stegemann offen für Gräfes Forderung: https://www.kicker.de/var_froehlich_und_stegemann_offen_fuer_graefes_forderung-767660/artikel, letzter Zugriff am 29.09.2021.
Kicker: Plea, Lewandowski, Aufreger: Gladbach erreicht ein 1:1 gegen Meister Bayern: https://www.kicker.de/gladbach-gegen-bayern-2021-bundesliga-4721495/analyse, letzter Zugriff am 01.10.2021.
Ligaportal: Bundesliga verkündet neuen Startpunkt des VAR in Österreich! https://www.ligaportal.at/bundesliga/allgemein-news/7098-bundesliga-verkuendet-neuen-startzeitpunkt-des-var-in-oesterreich, letzter Zugriff am 29.09.2021.
11Freunde: Die Dynamik eines Sommers: https://11freunde.de/artikel/die-dynamik-eines-sommers/527370, letzter Zugriff am 01.10.2021.
[1] Deutscher Fußball-Bund: Video-Assistant-FAQ.
[2] Vgl. Ebd.
[3] Vgl. Ebd.
[4] Vgl. Kicker: VAR: Fröhlich und Stegemann offen für Gräfes Forderung.
[5] Ebd.
[6] Kicker: Plea, Lewandowski, Aufreger: Gladbach erreicht ein 1:1 gegen Meister Bayern.